Ich sehe keinen Reformbedarf
Katerstimmung statt Bullenjahre: Lange war die Stimmung unter Bankern in der Bonussaison nicht so trübe. UBS, Deutsche Bank und Co. streichen nicht nur bei den Investmentbankern – trotzdem hagelt es Kritik. Headhunter Tim Zühlke erklärt, wie Banker die Krise überleben und warum sich die Gehaltsspirale schon bald wieder nach oben drehen wird.
mm.de: Derzeit werden die Deutschbanker über ihre Bonuszahlungen informiert. Wie groß fällt der Schock aus?
Tim Zühlke ist Headhunter und Gründungspartner bei Indigo Headhunters in Frankfurt. Das Unternehmen hat sich auf den Finanzmarkt spezialisiert.
Zühlke: Die Stimmung wird nicht kippen, die Mitarbeiter erleiden wegen der Vergütungen keinen Schock. Die Deutsche Bank hat ihre Mitarbeiter bereits darauf vorbereitet, dass der Bonuspool im Vergleich zum Vorjahr um etwa 50 bis 60 Prozent kleiner ist. Da kann sich jeder in etwa ausrechnen, wie viel für ihn im Topf ist. Man muss das auch in der Gesamtrechnung sehen. Wir kommen aus Bullenjahren. Das waren Jubelzeiten. Wenn es jetzt ein, zwei dünne Jahre gibt, geht es danach wieder aufwärts. Wir beobachten allerdings eine wachsende Angst um den Arbeitsplatz. Es wird weitere Entlassungsrunden in der Branche geben. Da wird sich zeigen, wer dabei bleibt. Bei vielen ist Unsicherheit da, ob der Arbeitsplatz die nächsten sechs Monate noch sicher ist. Das wird vor allem das Investmentbanking betreffen – weltweit, aber es ist auch in Frankfurt sichtbar.
mm.de: Wer kommt glimpflich davon, wer wird geschoren?
Zühlke: Wir gehen davon aus, dass die Deutsche Bank ihre guten Mitarbeiter einigermaßen bezahlen wird. Das heißt, dass die Spitzenkraft mit vielleicht nur mit 5 bis 10 Prozent weniger nach Hause geht. Die Schere im Vergleich zu seinem Kollegen, der nicht so erfolgreich war, wird aber deutlich größer. Der bekommt vielleicht 70 oder 80 Prozent weniger aus dem Topf.
mm.de: Welche Bereiche sind besonders von harten Einschnitten betroffen?
Zühlke: Wir wissen, dass die Deutsche Bank im Handel viel Geld verloren hat. Es ist kein Zufall, dass in New York Herr Weinstein gehen musste (…mehr). In London wurde der Derivatehandel fast komplett aufgelöst – in den Bereichen wo wenig verdient wird, da wird auch schlecht bezahlt.
mm.de: So schlecht sieht es insgesamt nicht aus. Die UBS zahlt mehr als zwei Milliarden Euro aus, gut die Hälfte freiwillig. Ist so etwas angesichts anhaltender Verluste bei einer vom Staat gestützten Bank gerechtfertigt?
Zühlke: Die Boni verteilen sich auf die einzelnen Bereiche der Bank ja höchst unterschiedlich. Für die Investmentbanker bleibt kaum etwas. Wenn die Bank gar keine Boni mehr zahlt, wird sie jede Menge Personal verlieren. Das zerstört das Gesamtunternehmen. Es ist ein schmaler Grat. Die UBS macht insgesamt Verlust, aber das Vermögensmanagement ist sehr profitabel. Ist es dann richtig, die nicht zu bezahlen? Nein. Stellen sie sich vor, sie haben wichtige Transaktionen gemacht und 20 Stunden am Tag gearbeitet, und bekommen dafür nichts extra? Das ist sehr unschön. Die Mitarbeiter fragen sich ja nicht nur, was in diesem Jahr ist. Ein Jahr können sie vielleicht noch hinnehmen, aber wenn es im nächsten Jahr auch keinen Bonus gibt, gehen die Leute und jeder wird sich überlegen, wie die Bank überleben kann.
mm.de: Läuft der Beruf des Bankers nicht Gefahr, massiv an Ansehen zu verlieren?
Zühlke: Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist verheerend. Aber das relativiert sich beispielsweise im Fall der UBS, wenn man weiß, dass der Bonuspool von mehr als zehn Milliarden Franken auf zwei Milliarden Franken gesunken ist.
mm.de: Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann sagt, sein Institut müsse die besten Köpfe auch über die Bezahlung an sich binden. Ist es nicht vielmehr so, dass alle auch sehen müssen, wo sie bleiben?
Zühlke: Die Banken müssen jetzt stark selektieren und entscheiden, wer die Leute sind, auf die sie unter keinen Umständen verzichten möchten. Der Abwerbedruck ist zwar nicht mehr so groß, die Aufnahmefähigkeit des Marktes ist deutlich schlechter geworden. Es ist aber nicht so, dass es da draußen keine Jobs gibt. Insbesondere gilt das für Senior-Positionen. Um aus dem Sturm rauszukommen, suchen manche nach einem neuen Kapitän oder Steuermann.
mm.de: Es ist inzwischen aber beinahe Konsens, dass hohe, kurzfristige Vergütungen die Krise verstärkt haben, wenn nicht sogar verursacht haben.
Zühlke: Da stimme ich nicht zu. Die Mechanismen funktionieren seit Jahrzehnten gut. Es gab immer mal irgendeinen Hype, wenn etwas besonders gut gelaufen ist. Ich glaube nicht, dass die Bezahlungen die Krise ausgelöst haben.
mm.de: Aber die Deutsche Bank, wo ein Teil der Boni über drei Jahre eingefroren werden soll, ändert ihr System doch nicht aus reinem Opportunismus?
Zühlke: Ich glaube schon, dass im Moment vieles ein wenig vom Zeitgeist getrieben ist. Die Banken denken aber auch nicht erst seit einem halben Jahr über ihre Zahlungsmodalitäten nach. Ich kann mir nicht vorstellen, dass vermehrte individuelle Gier so eine Krise auslöst.
mm.de: An den Vergütungsmodellen muss sich nichts ändern?
Zühlke: Ich sehe keinen Reformbedarf. Das System hat sich bewährt. Das Gehaltsniveau wird jetzt drastisch zurückgehen. Aber die Banken werden bald wieder Renditeziele von 25 Prozent auf das Eigenkapital ausgeben. Ich bin sicher, dass die Spirale sich dann wieder nach oben dreht, weil die Banken die Leute haben wollen, die dieses Ziel erreichen können.
mm.de: Haben Sie als Headhunter nicht gemerkt, dass das System irgendwie heißläuft?
Zühlke: Wir haben gemerkt, dass die Nachfrage nach Personal in manchen Bereichen so stark war dass sich die Preise exponentiell entwickelt haben. Das ist aber ein einfaches marktwirtschaftliches Prinzip von Angebot und Nachfrage.
mm.de: In solchen Entwicklungen spiegelt sich aber auch eine Blase, hinter der nichts Beständiges ist. Da müssen bei Ihnen doch die Alarmglocken schrillen.
Zühlke: So etwas gibt es auch in anderen Branchen. Nach Nachhaltigkeit fragt zunächst keiner. Diesen Mechanismus kann man auch bei Pharmaunternehmen beobachten, die ein nicht ausreichend getestetes Medikament auf den Markt bringen.
mm.de: Welche Rolle haben Headhunter in diesem System gespielt? Sie haben die Gier doch nicht gerade gemildert.
Zühlke: Ein seriöser Headhunter hat kein Interesse daran, dass ein Kandidat einen möglichst gut dotierten Vertrag unterschreibt, nur um das eigene Honorar zu steigern. Er will ja auch noch in fünf bis zehn Jahren beauftragt werden. Wenn man kurzfristig Leute zusammenbringen würde, die eigentlich gar nicht zueinander passen, geht es nach hinten los. Es gibt allerdings Situationen, in denen es für die Bank kosteneffizient ist, jemandem das Gehalt zu verdoppeln – etwa wenn er einer Bank ein neues Geschäft ermöglicht.
mm.de: Müsste sich nicht auch das Vergütungsmodell der Headhunter ändern, so dass es sich eine Vermittlung manchmal eben erst nach drei Jahren voll auszahlt?
Zühlke: Solche Modelle sind kaum zu finden und wären der Leistung des Headhunters, die in der Auswahl und Vermittlung besteht, auch nicht angemessen. Denn, innerhalb von drei Jahren kann sich vieles in einem Unternehmen ändern. Oftmals liegt ja die Ursache einer schlechten Performance nicht nur beim Mitarbeiter. Oft wird das Honorar erst nach Ende der Probezeit fällig.
mm.de: Wie sehr ist der Bankenarbeitsmarkt durch die Finanzkrise in Bewegung geraten, von wo nach wo strömen die Arbeitskräfte?
Zühlke: Die Bankenlandschaft verändert sich komplett. Auf einmal interessieren sich Mitarbeiter von internationalen Tophäusern auch für vermeintlich wenig spannende Adressen in den Regionen. So tun sich Chancen für Institute in der zweiten und dritten Reihe auf.
mm.de: Was tun Banker, um in der Krise zu überleben?
Zühlke: Viele Banker machen sich selbstständig über Spinoffs oder Neugründungen. Andere gehen in Unternehmen oder Unternehmensberatungen. Die Möglichkeiten für diese Arbeitgeber, jemanden abzuwerben, sind deutlich besser geworden.
Von Nils-Viktor Sorge